Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Kaisertum und Ritterschaft: Friedrich I. Barbarossa in seiner Epoche
Von Stefan Winckler


Nach der Reichsgründung 1871 überzeugte der bayerische Geschichtsprofessor Johann Nepomuk Sepp den Reichskanzler Otto von Bismarck, eine Expedition nach Tyros zu schicken. Er vermutete in der südlibanesischen Stadt das Grab Kaiser Friedrich Barbarossas. Jener war bekanntlich auf dem Dritten Kreuzzug verunglückt. Ein Teilnehmer der Forschungsreise war neben Sepp der preußische Historiker Hans Prutz, der zuvor ein dreibändiges Werk über Friedrich Barbarossa veröffentlicht hatte. Später verfasste er eine umfangreiche vergleichende Untersuchung über die Geistlichen Ritterorden sowie eine Monografie über Entwicklung und Untergang des historischen Tempelritterordens.

 

Die Rückführung der sterblichen Überreste des mittelalterlichen Kaisers sollte dazu beitragen, die konstitutionelle Hohenzollern-Monarchie in eine Kontinuität zum Alten Reich zu setzen. Ergebnis: Die Gebeine blieben verschollen. Der vermutete Ort der Beisetzung, die Kathedrale von Tyros, war im 13. Jahrhundert bei einem Erdbeben zerstört und später von den Mamelucken abgerissen worden.
Jedenfalls ist erkennbar, dass das Interesse an „Kaiser Rotbart lobesam“ (Uhland) im 19. Jahrhundert kräftig anstieg – man denke an Friedrich Rückerts Gedicht „Der alte Barbarossa“ (1817) und an das Kyffhäuserdenkmal bei Bad Frankenhausen (1896 eingeweiht).
In der Gegenwart schmücken sich die Standorte der staufischen Kaiserpfalzen wie Gelnhausen, Kaiserslautern, Sinzig und Altenburg mit dem offiziellen Beinamen „Barbarossastadt“.  Auch in Eger/Tschechien befindet sich eine Kaiserpfalz, davor ein oktogonaler, zweieinhalb Meter hoher Gedenkstein (Stauferstele) mit einem Gewicht von viereinhalb Tonnen.
Auch wenn keine endgültige Gewissheit über das Datum besteht: Im Dezember 2022 jährt sich der Geburtstag Friedrichs I. Barbarossa wohl zum 900. Male.  Wer war dieser Herrscher, und was verbindet ihn mit dem Rittertum?
Leben
Zunächst fällt auf, dass der Staufer Friedrich I. ausgesprochen lange regierte: 38 Jahre, von 1152 bis 1190.
Damit verknüpft: Er nahm zweimal an Kreuzzügen teil – was ihn von anderen Regenten unterscheidet (Ausnahme: Ludwig IX., der Heilige, König von Frankreich).
Die Großen des Reiches wählten Friedrich in Frankfurt einstimmig zum römisch-deutschen König als Nachfolger seines Onkels Konrad III. Im gleichen Jahr (1152) folgte die Krönung in Aachen. Hadrian IV. (der einzige Papst englischer Herkunft) krönte Friedrich im Jahre 1155 zum Kaiser.
An Friedrichs Biografie sind die zahlreichen Konflikte kennzeichnend. Schon vor seiner Wahl zum römisch-deutschen König bestand die Rivalität zwischen Hohenstaufen und Welfen. Mit dem welfischen Gegenspieler Heinrich der Löwe, zugleich Friedrichs Cousin, konnte zunächst Frieden geschlossen werden (Würzburg 1157), er erhielt zusätzlich das Herzogtum Bayern, doch verweigerte Heinrich die Unterstützung für Friedrich: eine offene Auflehnung. Friedrich verurteilte den Welfen auf dem Hoftag zu Gelnhausen und entzog ihm seine Reichslehen: erst Sachsen, dann Bayern.
Friedrich beabsichtigte in der Nachfolge des antiken Imperium Romanum die Reichsgewalt in Italien wiederherzustellen. Der Aufgabe der Kaiser entsprechend, wollte er Frieden und Gerechtigkeit schaffen. Er stieß auf den Widerstand des  lombardischen Städtebundes (Lega Lombardiae), zerstörte Mailand (1162), musste sich aber in der Schlacht von Legnano im Jahre 1176 geschlagen geben (Giuseppe Verdi bearbeitete das historische Ereignis 1849 in der gleichnamigen Oper. Auch die gegenwärtige italienische Partei Lega knüpft in Name und Symbol an den Lombardenbund an). Im Frieden von Konstanz (1183) erkannte Friedrich die Autonomie des oberitalienischen Städte an. Umgekehrt akzeptierte die Lega seine formelle Oberhoheit und verpflichtete sich zur Unterstützung Friedrichs, soweit Reichsinteressen außerhalb des Lombardenbundes betroffen waren.
Friedrich Barbarossas Kämpfe waren keine Ausnahme: Die lange Geschichte des Heiligen Römischen Reiches war zu erheblichen Teilen eine Geschichte der Auflehnung gegen den König/Kaiser oder der Kriege zwischen regionalen Fürsten.
Friedrichs diplomatische Fähigkeiten zeigten sich nach 1180, als er mit Wilhelm von Sizilien die Heirat des Kaisersohnes Heinrich mit der sizilianischen Königserbin Konstanze vereinbarte.
Friedrich Barbarossa ertrank auf dem Weg nach Jerusalem in dem kleinasiatischen Fluss Saleph (heute: Göksu) am 10. Juni 1190.
Persönliches
Friedrich war zunächst in kinderloser Ehe mit Adela von Vohburg verheiratet, von der er sich mit Unterstützung zweier päpstlicher Legaten und des Konstanzer Bischofs scheiden ließ. Durch sie erbte Friedrich das Egerland.
Seine zweite Frau Beatrix von Burgund war die Mutter von elf Kindern, von denen die meisten sehr früh verstarben. Beatrix brachte die Franche-Comté (Freigrafschaft Burgund) in die Ehe. Wie schon Adelheid und Theophanu (spätes 10. Jahrhundert) war sie eine gebildete, einflussreiche Kaisergemahlin. In Burgund wirkte sie als selbständige Regentin. 1167 setzte Friedrich ihre Krönung zur Kaiserin in Rom durch. Sie starb wenige Monate nach dem Hoftag zu Mainz, rund 45 Jahre alt.
Beatrix ist in der Grablege der hochmittelalterlichen Herrscher im Dom zu Speyer bestattet. Friedrichs Nachfolger Heinrich VI. ruht in Dom zu Palermo, wie auch Konstanze und der Barbarossa-Enkel Friedrich II. (nach Stefan George der „größte Friedrich“).
Rittertum
Rittertum bedeutet, dass die potentiell böse Macht der Stärkeren („Ihr, die ihr Witwen und Waisen beraubt...“, so Papst Urban II. 1095) zugunsten edler, christlicher Ziele durch die ritterlichen Tugenden gezähmt wird (vgl. die beiden vorangegangenen Ausgaben von NON NOBIS, Rückseite).
Das Rittertum ist französischen Ursprungs (vgl. ausführlich Rainer Lanz: Ritterideal und Kriegsrealität im Spätmittelalter. Diss., Zürich 2006). Im Heiligen Römischen Reich erreichte es  auf dem Hoftag zu Mainz Pfingsten 1184 anlässlich der Schwertleite der Kaisersöhne König Heinrich (1165 bis 1197) und Herzog Friedrich (1167 bis 1191) einen glanzvollen Höhepunkt. „Schwertleite“ bedeutet: Ritterschlag im Anschluss an die ritterliche Erziehung. Zeitgenössische Chroniken berichten von einem ungemein prächtigen dreitägigen Fest auf der Maaraue an der Mündung des Mains in den Rhein, darunter auch Gästen aus den benachbarten Teilen des Abendlandes, die den Anspruch des Kaisers als weltlichen Vertreter Christi auf Erden unterstrichen. Gislebert von Mons nannte die (vermutlich überhöhte) Zahl von 70.000 Rittern im Gefolge der weltlichen Fürsten und Bischöfe. Realistisch war wohl die Zusammenkunft von rund 20.000 Rittern, die im übrigen freiwillig erschienen! Turniere fanden statt, der Kaiser und seine Söhne beteiligten sich persönlich an den Ritterspielen. Die ritterliche Tugend der largitas (Freigebigkeit) kam zur Anwendung: Die Kaisersöhne als neue Ritter verteilten Geschenke an Rangniedere, die Großen des Reiches schlossen sich an.  Die Anwesenden waren in zahlreichen Zelten untergebracht, während eine Kirche und für Friedrich ein hölzerner Palast erbaut worden waren. Spielleute und Sänger fanden sich ein. Der Hoftag war demnach auch ein Hoffest.
Der Mediävist Karl Hampe würdigte es als „Durchbruchspunkt einer neuen Kulturströmung“ – ein häufig zitiertes Diktum. Der Nestor der deutschen Rittertumsforschung, Josef Fleckenstein, hebt hervor: Die Identität als Ritter ließ die Angehörigen des hohen, des niederen Adels und der Ministerialen (Amtleute) am Hof „enger zusammenrücken“. Er erklärt den Bedeutungszuwachs des Rittertums unter Friedrichs Kaiserzeit mit den Verwandtschaftsbeziehungen deutscher Adliger nach Frankreich und mit dem bereits zuvor ausgeprägten Rittertum in Beatrix' Heimat Burgund.
Der zweite Hoftag Friedrichs in Mainz von Ostern 1188 stand nominell unter dem Vorsitz seines Sohnes König Heinrich (VI.). Ein Bericht über die Lage im Heiligen Land (Sieg Saladins bei Hattin im Vorjahr) wurde verlesen. Nach einer Kreuzzugspredigt des Bischofs von Würzburg fragte der nunmehr 65-jährige Kaiser die Anwesenden, ob er das Kreuz nehmen soll oder nicht – und traf nach diesem Votum erste Festlegungen für die im Jahr darauf begonnene „bewaffnete Pilgerfahrt“. Die Ritter folgten ihm, dem Miles (Ritter) Christi, und erklärten sich zur Militia (Ritterschaft) Christi. So war der Hoftag 1188 kein Fest, sondern der Ort weitreichender Entscheidungen in Demut vor Gott.
Ausschreitungen gegen Juden im Vorfeld waren keineswegs im Sinne des Kaisers, vielmehr standen die Juden unter seinem Schutz. Es galten hohe Strafen bei Verstößen.

Fazit

Friedrich Barbarossa besaß offenbar genügend Persönlichkeitsstärke, um die Loyalität der Großen des Reiches während seiner Auseinandersetzungen mit Heinrich dem Löwen, den oberitalienischen Städten und Papst Alexander III. (das wäre ein zusätzliches Kapitel) zu erhalten und zu behalten. Mit den Hoftagen in Mainz erreichte Friedrich den Gipfel seines Ansehens, bezeichnenderweise in Verbindung mit dem Rittertum.

Benutzte Literatur

J.F. Böhmer: Regesta Imperii IV,2: Friedrich I.  Wien Köln Weimar 2011. Online: https://library.oapen.org/bitstream/id/610c3d81-3d53-4d1f-a2ca-9c715fc524e6/1000529.pdf
Josef Fleckenstein: Friedrich Barbarossa und das Rittertum. Zur Bedeutung der Mainzer Hoftage von 1184 und 1188. In: Festschrift für Hermann Heimpel, 2. Band, Göttingen 1971, S. 1023-1041. Online:
www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a089789.pdf

 

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