Stefan Winckler
Historiker und Buchautor




Stefan Winckler

Besuch in Armageddon

Der sechste Engel goss seine Schale über den großen Strom, den Eufrat. Da trocknete sein Wasser aus, sodass den Königen des Ostens der Weg offen stand.Dann sah ich aus dem Maul des Drachen und aus dem Maul des Tieres und aus dem Maul des falschen Propheten drei unreine Geister hervorkommen, die wie Frösche aussahen.

 

Es sind Dämonengeister, die Wunderzeichen tun; sie schwärmten aus zu den Königen der ganzen Erde, um sie zusammenzuholen für den Krieg am großen Tag Gottes, des Herrschers über die ganze Schöpfung.
Siehe, ich komme wie ein Dieb. Selig, wer wach bleibt und sein Gewand anbehält, damit er nicht nackt gehen muss und man seine Blöße sieht.Die Geister führten die Könige an dem Ort zusammen, der auf hebräisch Harmagedon heißt.

Offenbarung des Johannes 16,12-16


Nein, das einstige Armageddon (auch: Harmageddon, heute: Megiddo) ist keine Station auf den zahlreichen Rundreisen, die die Reisegesellschaften hierzulande den Israel-Besuchern anbieten. Obwohl „Armageddon“ ein vergleichsweise geläufiger Begriff ist, der im übertragenen Sinne für den Weltuntergang steht.

Wer nach Israel kommt und sich für antike Geschichte interessiert, kann die Überreste auf einem 157 Meter hohen Hügel bequem im Auto erreichen. Megiddo liegt etwa 35 Kilometer südöstlich von Haifa inmitten eines Nationalparks und ist Teil der UNESCO-Welterbestätte Biblische Siedlungshügel.


Das Monument in der Gegenwart

Der Blick von der Aussichtsplattform geht weit über die fruchtbare Jesreel-Ebene. In östlicher Richtung erkennt der Betrachter Hügelketten. Eine Erhebung fällt auf, denn sie hat die markante Form eines „Napoleonhutes“: Berg Tabor, gekrönt von der Kirche der Verklärung. Luftlinie 30 Kilometer entfernt.

Obwohl Megiddo, wie eingangs dargelegt, kaum in den Reisekatalogen auftaucht, war die Ausgrabungsstätte am wolkenverhangenen Dienstag, den 21. Januar 2020, gut besucht.

Im Souvenierladen herrschte reges Treiben, im Filmsaal daneben waren nur wenige Plätze frei. Ein leicht ansteigender Fußweg führt zu einem ausgedehnten Ruinenfeld. Die erhaltenen Mauern sind kaum einen Meter hoch, abgesehen vom einstigen Stadttor. Die wichtigsten Abschnitte, etwa die einstigen Pferdeställe, die Fundamente des nördlichen und des südlichen Palasts sind durch Tafeln benannt. Christliche Pilgerfrauen aus China sangen ein Halleluja, während ein Experte rund hundert Meter weiter die archäologischen Zusammenhänge detailliert erläuterte.

Die 3000 Jahre alte unterirdische Wasserleitung, 70 Meter lang, war gesperrt, doch der Erdtrichter zu diesem Tunnel ließ die Ausmaße erahnen. Vom Getreidesilo, das einst 450 Kubikmeter umfasste, ist eine nicht zu übersehende Grube erhalten geblieben.

Stolze Vergangenheit

Das Außergewöhnliche an diesem Ort ist seine lange Besiedlungsgeschichte über mehrere tausend Jahre und nicht weniger als 25 unterschiedliche historische Epochen. Anfänge sind bereits in die Jungsteinzeit im sechsten Jahrtausend v. Chr. zu datieren, wie Forscher aus Felszeichnungen schließen. Erste Tempel stammen aus der frühen Bronzezeit um 3300 v. Chr. Grund für das weitere Anwachsen der Stadt war die verkehrsungünstige Lage an einem Kreuzungspunkt der Wege vom Mittelmeer nach Jerusalem und von Syrien nach Ägypten. In der mittleren Bronzezeit um 2000 v. Chr. verließen die Bewohner die Stadt, weil sich offenbar das Klima verschlechterte. Von ihrer Rückkehr an bis um 1200 v. Chr. erreichte Megiddo einen Höhepunkt seiner militärischen Bedeutung und seines Wohlstands: Stadtmauern schützten die materiellen Werte. In jener Zeit ist unter anderem die Herrschaft Ägyptens über die Stadt schriftlich nachgewiesen. Ihr folgte die Besiedlung durch die Kanaaniter, die wir aus dem Alten Testament kennen. Eine neue Blüte brachte König Salomons Herrschaft. Später, um 733/732 v. Chr. zerstörten die Assyrer die Stadt – bauten sie jedoch wenige Jahre später wieder auf und machten sie zur Provinzhauptstadt von „Megiddu“. Zum endgültigen Verfall kam unter den Babyloniern und Persern.

Biblische Aussagen


Das Alte Testament führt Megiddo knapp in politisch-geschichtlichen Zusammenhängen auf, so im ersten und zweiten Buch der Könige und im Buch der Richter, im Buch Josua und der zweiten Chronik Das kann angesichts der Bedeutung jener Stadt nicht überraschen. Beispielsweise steht in 1. Kön 9,15:

„So verhielt es sich mit dem Frondienst: König Salomo hatte Fronarbeiter ausgehoben zum Bau des Tempels, seines Palastes, des Millo und der Mauern von Jerusalem, Hazor, Megiddo und Geser“.

Als Johannes die Offenbarung niederschrieb, war Megiddo hingegen im Verfall begriffen. Seit einem halben Jahrtausend war der Glanz verblasst. Der große Namen und die strategische Bedeutung waren offenbar geblieben. Johannes benennt die „Schalen des Zorns“, die Gottes Engel über den Sündern ausleeren. In „Harmageddon“ (griechisch für „Berg Megiddo“) versammeln sich, wie es oft gedeutet wird, nicht nur Könige. Vielmehr soll hier die endgültige Entscheidung in einer Schlacht zwischen Gut und Böse stattfinden. Der strategisch günstig gelegene Hügel samt seiner Umgebung war bereits mehrfach Kriegsschauplatz (z.B. 1457 v. Chr: Ägypter gegen syrische Fürsten), einige Male wechselte die Herrschaft. Außerdem beherrschte Megiddo die Straße vom Meer nach Jerusalem. Zu Zeiten des Urchristentums war Megiddo offenbar zum geschichtlichen Mythos geworden.


Schlachtfeld in der neuesten Zeit


In der Zeitgeschichte taucht der Name Megiddo mehrfach auf: zunächst wegen der Palästinaschlacht der Briten unter General Edmund Allenby gegen die Osmanen (die ein deutsches Asien-Korps verstärkte) im September 1918. Allenby wurde nach seinem Sieg 1919 zum Peer „Viscount Allenby of Megiddo and Felixtowe“ erhoben. Die Osmanen befehligte der preußische General Otto Liman von Sanders. Insgesamt kämpften annähernd 100.000 Mann. Folgenschwer: Mit der Niederlage brach die osmanische Front in Palästina zusammen.

Im Unabhängigkeitskrieg zwischen Palästina-Arabern und Juden 1948 kam es erneut zu einem – viel kleineren – Gefecht nahe Megiddo, welches das Schicksal von Haifa zugunsten Israels entschied.

Im Jahre 2002 ermordete hier ein arabisch-palästinensischer Bombenattentäter mindestens 18 und verletzte rund 40 Personen: einer der schlimmsten Massenmorde der Zweiten Intifada.



Literatur:

Deutscher Verein zur Erforschung Palästinas (Hrsg.): Tell El-Mutesellim. Bericht über die 1903 bis 1905 mit Unterstützung Sr. Majestät des deutschen Kaisers und der Deutschen Orientgesellschaft vom deutschen Verein zur Erforschung Palästinas veranstalteten Ausgrabungen.Bd.1: Gottlieb Schuhmacher: Fundbericht. Leipzig 1908, online:

https://archive.org/details/tellelmutesellim01schuuoft (Bericht über die Ausgrabungen von 1903-1905)

Bd. 2: Carl Watzinger: Die Funde. Leipzig 1929, online:

https://archive.org/details/tellelmutesellim02schuuoft/page/n6/mode/2up (Bericht über



Anmerkung: Tell Mutesellim ist die arabische Bezeichnung für den Megiddo-Hügel.



Fotosammlung:

https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Tel_Megiddo?uselang=de


© Stefan Winckler





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