Stefan Winckler
Historiker und Buchautor

Stefan Winckler 

 

 Was hat sich geändert? Missstände vergangener Jahre und der Status Quo 2022

In den Jahren seit 2017 hat sich NON NOBIS mit sehr verschiedenen Problemen der Gesellschaft befasst. In den Titelgeschichten konnten freilich immer nur  begrenzte Ausschnitte aus der Realität behandelt werden. Uns ging es dabei mehr als einmal darum, jenen Fragen nachzugehen, die in den einschlägigen Nachrichtensendungen und Talkrunden selten benannt wurden.
Was hat sich seit der Veröffentlichung der Themenschwerpunkte in NON NOBIS  getan? Können Verbesserungen der kritisierten Missstände vermeldet werden? Oder hat sich die Lage verschärft? Damit will sich dieser Aufsatz weder abschließend noch umfassend, sondern im Rahmen unserer Möglichkeiten beschäftigen. Es kann immer nur ein Ansatz sein, der zum Nachdenken und zu weiteren Recherchen anregt.
Weitere Beiträge von Dr. Johannes Kandel und Hans-Jürgen Mahlitz vertiefen die angesprochenen Fragestellungen.
Bewahrung der Schöpfung – Naturschutz: Wasser
Die Debatte um den Klimawandel überdeckt viele andere Aspekte der Naturzerstörung wie die Wassernutzung in trockenen Gebieten und Luftverschmutzung.
Wir zeigten in der NON NOBIS-Ausgabe vom Advent 2017 die Situation am Toten Meer auf. Jahr für Jahr fällt der Pegel dieses abflusslosen Binnensees um mehr als einen Meter. Die Idee eines Kanals oder einer Pipeline vom Roten Meer zum niedriger gelegenen Toten Meer harrt bislang noch seiner Umsetzung, obwohl sie im Jahre 2013 zwischen Israel, Jordanien und der Palästinensischen Autonomiebehörde vertraglich fixiert wurde: 2018 sollte mit dem Bau des „Friedenskanals“ begonnen werden. Vorgesehene Kosten: 13 Milliarden Euro. Immerhin gibt zeigt die neue israelische Regierung an diesem Projekt stärkeres Interesse als ihre Vorgängerin. Jährlich soll eine Milliarde Kubikmeter Wasser aus dem Roten Meer in den Salzsee fließen. 1
In der gleichen Ausgabe widmeten wir uns dem Colorado River, dem im Südwesten der Vereinigten Staaten so viel Wasser für landwirtschaftliche Zwecke entnommen wird, dass er auf seinem 100 Kilometer langem Lauf auf mexikanischem Gebiet kaum noch vorhanden ist. Die USA und Mexiko vereinbarten eine zeitweise Flutung des weitgehend ausgetrockneten Deltas im Zeitraum vom 1. Mai 2021 bis 11. Oktober des gleichen Jahres. 35.000 acre feet (43.171.800 Kubikmeter) Wasser ergossen sich in Richtung Mündung. Dadurch konnte das Ökosystem mit seinen Tier- und Pflanzenarten wieder belebt werden, sehr zum Wohl der Anrainer. Das Delta ist eines der wichtigsten Feuchtgebietsökosysteme für Vögel: hier leben Küstenvögel wie Säbelschnäbler und Strandläufer. Zugvögel machen hier Station.
Vorausgegangen war eine achtwöchige Flutung im Jahr 2014 (NON NOBIS berichtete darüber 2017). Erstmals seit 1997 erreichte der Fluss wieder das Meer, Anzahl der Vögel und Artenvielfalt stiegen stark an. Parallel wird die Wasser-Infrastruktur renoviert, um ein Versickern in den landwirtschaftlich genutzten Kanälen zu verhindern.
Über die Dürre in Kalifornien zwischen 2011 und 2017 haben wie in der gleichen Ausgabe geschrieben. Die Jahre 2000 bis 2022 waren die trockensten in der Geschichte der Region seit 800 – wie Wissenschaftler anhand der Jahresringe besonders alter Bäume nachwiesen. Zwar regnete es heftig im vergangenen Winter, doch wird derzeit mit einer empfindlichen sommerlichen Dürre gerechnet, die mindestens an den sehr trockenen Sommer 2021 heranreichen werde. Als Ursache wird ein Abkühlen von Teilen des Pazifiks gesehen, das eine Änderung der Winde und damit der Niederschlagsgebiete im Südwesten der Vereinigten Staaten herbeiführt. Folge: Waldbrände werden zunehmen, landwirtschaftliche Flächen werden geschädigt, Wasser muss rationiert werden.
Bewahrung der Schöpfung – Naturschutz: Luft
Es liegt noch keine neue Studie des Umweltbundesamtes über den Zustand der Gewässer in Deutschland vor – wir haben im Heft Nr. 17 (2017) die Zusammenfassung und Bewertung jener Behörde aus dem gleichen Jahr referiert. Auch andere Veröffentlichungen, die an die seinerzeitige Studie anschließen, stehen noch aus. Wir vermuten, dass sich seit 2016/17 wenig geändert hat.
Die Luftverschmutzung haben wir 2017 nicht erörtert, da der Schwerpunkt zu einem größeren Teil dem Zustand des Wassers gewidmet war. Eine im Februar 2022 erschienene Broschüre des Umweltbundesamtes mit dem Titel Luftqualität 2021. Vorläufige Auswertung soll daher schon aus Gründen der Relevanz und der Aktualität hier vorgestellt werden.
Feinstaub
Bei Feinstaub handelt es sich um Partikel mit einem Durchmesser von zehn bzw. 2,5 Mikrometer. In den ökologisch-politischen Debatten sind damit nicht Vulkanstaub oder  Salz oder andere primäre Partikel gemeint, sondern durch die moderne Technik erzeugte Teilchen. Kein Zweifel besteht daran, dass Feinstaub insbesondere die Gesundheit der Lunge und der unteren Atemwege sowie Herz und Kreislauf schädigt. Was oft übersehen wird: Gerade auch Zigarettenrauch enthält sehr hohe Werte an Feinstaub. Ein Raucher nimmt in einer Woche ungefähr so viel Stickstoffdioxid auf wie ein Nichtraucher an einer vielbefahrenen Straße in einem Jahr - „Mit einer einzigen Zigarette inhaliert ein Raucher bis zu 1.000 Mikrogramm Stickstoffdioxid (NO₂). Bei einem Zigarettenkonsum von einer Schachtel am Tag kommen rund 20.000 Mikrogramm NO₂ zusammen, und nach einem Monat etwa 600.000 Mikrogramm“. Soweit das Rechenexempel von Pneumologen (2)
Während Feinstaub wie z.B. Reifenabrieb im ländlichen Raum ausgesprochen wenig und in Städten stärker gemessen wurde, trat er insbesondere an stark frequentierten Straßen auf.  360 Messstation an repräsentativ ausgewählten Orten von Sylt über das Ruhrgebiet bis zur Zugspitze waren genutzt worden.
„Feinstaub entsteht vor allem bei Verbrennungsprozessen in Kraftfahrzeugen, Kraftwerken und Kleinfeuerungsanlagen, in der Metall- und Stahlerzeugung, durch Bodenerosion und aus Vorläufersubstanzen wie Schwefeldioxid, Stickoxiden und Ammoniak. Es ist erwiesen, dass Feinstaub die Gesundheit schädigt“, so das Umweltbundesamt.
In den Jahren zwischen 2000 und 2020 ist offenbar das Thema Luftbelastung durch Feinstaub deutlich häufiger als im Vergleichszeitraum 1980 bis 2000 in den Medien benannt worden. Dies wäre durch eine publizistikwissenschaftliche Inhaltsanalyse zu erhärten. Falls das Thema Feinstaub und die damit zusammenhängenden staatlichen Maßnahmen (Feinstaubplakette ab 2007, Zufahrtsbeschränkungen) häufiger benannt wurde, könnte dies zur Folge haben, dass die Bevölkerung von erhöhten Feinstaubemissionen ausgeht, diese als Gefahr oder zumindest als Problem begreift usw. Tatsächlich ist in den vergangenen 22 Jahren die Luftbelastung durch Feinstaub kontinuierlich und deutlich zurückgegangen.
In den vergangenen zwei Jahren war das traditionelle Silvesterfeuerwerk eingeschränkt worden, da dadurch Feinstaub freigesetzt wird. Dieser Feinstaub in der Neujahrsnacht macht ein  Prozent der jährlichen Feinstaubemission aus.
Gleichzeitig wurde der Ausstoß von Stickstoffdioxiden gemessen. Worum handelt es sich dabei? „Stickstoffdioxid (NO2) ist eine reaktive Stickstoffverbindung, die als Nebenprodukt bei Verbrennungsprozessen, vor allem in Fahrzeugmotoren, entsteht und die zu einer Vielzahl negativer Umweltwirkungen führen kann. Das ist vor allem für Asthmatiker ein Problem, da sich eine Bronchienverengung einstellen kann, die zum Beispiel durch die Wirkungen von Allergenen verstärkt werden kann“ (Umweltbundesamt). Auch hier sind Verbesserungen zu vermelden: Waren von 2010 bis 2016 noch an weit mehr als der Hälfte der verkehrsnahen städtischen Messstationen Überschreitungen der Grenzwerte des jährlichen Jahresmittels angezeigt worden, so sanken diese in den Jahren 2017 und 2018 auf 40 bis 45 Prozent. In den Jahren 2020 und 2021 war kaum noch eine Überschreitung festgestellt worden. Der EU-Grenzwert beläuft sich auf 40 Mikrogramm NO2 im Jahresmittel pro Kubikmeter. An stark befahrenen Straßen, im städtischen und im ländlichen Raum nahmen die Emissionen seit 2009 kontinuierlich ab. Ab 2016 blieben sie selbst an den städtischen, verkehrsnahen Messstationen deutlich unter dem EU-Grenzwert.
Zu den Umweltthemen vergangener Jahrzehnte gehört die Ozonbelastung. In Bodennähe entsteht Ozon (O3) bei intensiver Sonneneinstrahlung durch komplexe photochemische Prozesse aus Ozonvorläuferstoffen – überwiegend Stickstoffoxide und flüchtige organische Verbindungen. Erhöhte Ozonkonzentrationen können beim Menschen Reizungen der Atemwege, Husten und Kopfschmerzen hervorrufen“.
Die Ozon wurde im Jahre 2021 an 260 Messstationen in Konzentrationen registriert, die den Grenzwert von 120 Mikrogramm pro Kubikmeter übertrafen. Im Gegensatz zu den heißen, sonnenreichen Sommern der Jahre 2003 und 2015 war die Überschreitung geringfügig- wir erinnern uns an ein eher regenreiches Sommerhalbjahr 2021 mit vergleichsweise starker Bewölkung. (3)
Insgesamt kann die Luftqualität in Deutschland als gut bezeichnet werden. Deutschland steht im Jahre 2021 an 29. Stelle der am wenigsten von Feinstaub PM2,5 belasteten Länder (10,6 Mikrogramm pro Kubikmeter). Am saubersten ist die Luft in Neukaledonien, den Jungferninseln und Puerto Rico, am schmutzigsten in Bangladesch (76,9 Mikrogramm pro Kubikmeter), Tschad, Pakistan, Tadschikistan und Indien. In den meisten Ländern ist eine Tendenz zum Rückgang der Werte erkennbar, so auch in Deutschland (2018: 13 Mikrogramm pro Kubikmeter). Dagegen haben sich die Werte in Mittelasien erhöht. Auffallend: Außer den drei Ländern mit der saubersten Luft überschreiten alle anderen 114 Staaten den Grenzwert, den die Weltgesundheitsorganisation WHO gesetzt hat (5,0 Mikrogramm). (4) Er liegt damit weit unter dem EU-Grenzwert, d.h. er ist strenger.
Im EU-weiten Vergleich sind die deutschen Städte im moderaten und guten Bereich angesiedelt. In Berlin sind die Werte am schlechtesten (Platz 231), in Göttingen (Platz 29) am besten. In Skandinavien und Estland ist die Luft relativ rein, in Ostmitteleuropa und Norditalien vergleichsweise schmutzig. (5)

Plastik im Meer

 

 

Zu den Themen, die im Zusammenhang mit Naturschutz und Naturzerstörung in den vergangenen Jahren häufig behandelt wurden, zählt der Plastikmüll. Auch NON NOBIS nahm 2017 darauf Bezug. Wissenschaftler schätzen, dass sich zwischen 90 und 150 Millionen Tonnen Kunststoff im Meer befinden und dass jährlich rund acht Millionen Tonnen Plastikmüll ins Meer gelangen: etwa zwei Lastwagenladungen pro Minute. Alleine die Donau schwemmt täglich bis zu vier Tonnen Plastik ins Schwarze Meer. In den Anrainerstaaten fehlen teilweise eine wirksame Müllvermeidung oder auch ein funktionierendes Pfandsystem. Auf diese Verschmutzung macht ab April 2022 Andreas Fath, Professor für Chemie an der Hochschule Furtwangen, aufmerksam: Er schwimmt innerhalb eines Vierteljahres in verschiedenen Etappen vom Oberlauf bis zur Donaumündung, nimmt dabei Wasserproben und stellt seine Erkenntnisse in zahlreichen Veranstaltungen vor.

Anfang März 2022 einigten 193 Staaten auf der UNO-Umweltkonferenz in Nairobi, ein Abkommen gegen Plastikverschmutzung auf den Weg zu bringen. In zwei Jahren soll ein rechtlich bindender Vertrag  stehen. Wie dieser im Einzelnen aussieht, ist noch offen; es könnte durchaus manche Problemlösung einer freiwilligen, „weichen“ Regelung überlassen werden. Dennoch kann von einem bedeutenden Schritt gesprochen werden, erst recht zu einem Zeitpunkt, nachdem Russland einen Angriffskrieg auf ukrainisches Territorium getragen hatte, was internationale Übereinkommen schlichtweg erschwert.
Eine Ausstellung unter dem Motto „Planet or Plastic?“, die bis zum 28. August 2022 geöffnet ist, zeigt im Gleispark Oldenburg die Umweltbelastung durch nicht-recycelten Kunststoff anhand von 70 Fotos auf.

Verwahrlosung

„Verwahrlosung bezeichnet einen Zustand, in dem die Mindesterwartungen, die die Gesellschaft an eine Person, ein Tier oder eine Sache stellt, nicht erfüllt sind“ (Wikipedia).
Der Vertrauensverlust in den Staat, den viele Bürger auch in ihrer alltäglichen Kommunikation bemerken, wird begleitet von einer weiteren Verrohung in den politisch-publizistische Debatten, nicht nur auf facebook. Der sprunghaft  angestiegene Zustrom von Immigranten 2014/15 und die für viele schmerzhaften Corona-Eindämmungsmaßnahmen haben diese Tendenz gefördert und verschärft: „Corona-Diktatur“ und „Merkel-Diktatur“ waren Schlagworte einer gelegentlich lautstarken Minderheit, die andere Einstellungen als „fake news“ abwertet und zunehmend in der eigenen „Blase“ lebt. Ironischerweise fanden manche ein Leben unter Putin attraktiver, ungeachtet der wenig demokratischen russischen Zustände (Oligarchie, kein fairer Wettbewerb usw.). Beleidigungen und Bedrohungen bis hin zu tätlichen Angriffen gegen Politiker haben zugenommen, gerade auch wegen der Anti- Covid19-Maßnahmen.
Verwahrlosung ist nicht auf die Unterschicht beschränkt. Sittliche Verwahrlosung liegt vor, wenn die damalige rheinland-pfälzische Ministerin für Umwelt falsche Angaben zu ihrem Verhalten angesichts der Hochwasserkatastrophe an der Ahr macht. Anne Spiegel verreiste zehn Tage nach der Katastrophe für vier Wochen mit ihrer Familie. Sie habe eigenen Angaben zufolge während ihres Urlaubs an Kabinettssitzungen teilgenommen. Die Protokolle sagten das Gegenteil aus. Spiegel musste sich vor dem Untersuchungsausschuss korrigieren und trat nach heftiger Kritik in den Medien von ihrem neuen Amt (Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) zurück.
Auch ein Boris Becker muss seine Eigentumsverhältnisse vollständig angeben, wenn er Insolvenz anmeldet.  Ansonsten kann auch hier von einer Verwahrlosung der Werte und Tugenden gesprochen werden.
Anfang Mai 2022 ließ sich der offensichtlich erkrankte CSU-Generalsekretär Stephan Mayer zu einem Wutausbruch gegen den Journalisten  Manfred Otzelberger hinreißen. Dieser hatte über ein bislang wenig bekanntes uneheliches Kind des früheren Parlamentarischen Staatssekretärs in der Illustrierten „Bunte“ geschrieben: Mayer kümmere sich angeblich nicht um den achtjährigen Sohn. Der Vater des Politikers zahle den Unterhalt. Ein denkbar privates, persönliches Thema, das geeignet ist, eine Karriere schwer zu schädigen! Nach der Veröffentlichung soll Mayer dem Redakteur nach Aussage von dessen Rechtsanwalt gedroht haben, „Ich werde Sie vernichten. Ich werde Sie ausfindig machen, ich verfolge Sie bis ans Ende Ihres Lebens“ sowie „Ich verlange 200 000 Euro Schmerzensgeld, die müssen Sie mir noch heute überweisen." Mayer behauptete, der Journalist habe ihn im Streitgespräch als „verrückt“ bezeichnet. Dessen Anwalt bestreitet dies, vielmehr habe er mit „verrückt“ die Geldüberweisung gemeint. Mayer: „Ich bestreite die konkreten Vorwürfe mit Nichtwissen. Für den Fall, dass dies zutrifft, erachte ich die Wortwahl rückwirkend als unangemessen." Nachdem der Streit an die Öffentlichkeit gelangt war, trat Mayer zurück und erklärte, „In einem aufgrund einer eklatant rechtswidrigen Berichterstattung geführten Gespräch mit einem Journalisten der ,Bunten‘ habe ich möglicherweise eine Wortwahl verwendet, die ich rückblickend nicht für angemessen betrachten würde. Dies bedauere ich sehr.“ Möglicherweise war dieser Ausraster nicht der erste in Mayers Laufbahn: „Vorwürfe verbaler Tiefschläge durchzogen seine bisherige Karriere“, so www.spiegel.de am 6. Mai 2022 unter der Überschrift „Ich verabscheue Sie“.
In den Vereinigten Staaten wollte der inzwischen abgewählte Präsident Donald Trump auf friedliche Demonstranten der Black Live Matters-Bewegung schießen lassen, als sie sich im Juni 2020 vor dem Weißen Haus versammelten. Das behauptet kein Geringerer als der damalige Verteidigungsminister Mark Esper in seinen Memoiren. Mit hochrotem Kopf schimpfte Trump, „Kann man nicht einfach auf sie schießen? Ihnen in die Beine schießen oder so?“ Zuvor soll Trump sogar die Erschießung gewünscht haben, bis er sich nach Intervention seiner Mitarbeiter ein wenig zurücknahm. So jedenfalls der Journalist Michael C. Bender, der damit Espens Erinnerung um so glaubwürdiger erscheinen lässt.
Eine alkoholbedingte Beeinträchtigung kann bei „The Donald“ nicht geltend gemacht werden – er ist seit über 40 Jahren Abstinenzler. Im übrigen hielt ein Hubschrauber der Nationalgarde die Protestierenden vor dem ohnehin bestens gesicherten Weißen Haus in Schach, so dass es weiterer Sicherung nicht bedurfte.
Esper schreibt weiter: Trump schlug vor, Drogenlabore in Mexiko mit „Patriot“-Raketen zu beschießen. Hinterher werde er alles ableugnen. Ganz nebenbei: Flugabwehrraketen wären m.E.  kaum das richtige Mittel gewesen. Espers Resümee: „Trump ist eine prinzipienlose Person, die angesichts ihres Eigeninteresses nicht in der Position des öffentlichen Dienstes sein sollte.“ Andere Personen aus Trumps Umgebung haben in ihren Buchveröffentlichungen Ähnliches festgestellt.
Diskriminierung und Verfolgung von Christen
Verfolgung und Benachteiligung von Christen war eines unserer großen Themen im Sommerheft 2019. Aufsätze dazu hatte der kompetente Forscher Prof. Dr. Christof Sauer von der Freien Theologischen Hochschule in Gießen beigesteuert.
Heute hat sich die Situation verschlechtert. Für 2019 nannte Sauer die Zahl von mindestens  342 Millionen diskriminierter Christen (2019: 286 Millionen), berechnet nach dem Weltverfolgungsindex von Open Doors. Mit Diskriminierung ist bei weitem mehr als staatliche Verfolgung gemeint. Sauer: „Darin eingeschlossen sind rechtliche, administrative und und gesellschaftliche Einschränkungen der Religionsfreiheit, Verletzung der Religionsfreiheit durch staatliche und nichtstaatliche Akteure wie auch glaubensbezogene Diskriminierungen, die nach den Menschenrechtsnormen keine oder weniger schwerwiegende Verletzung der Religionsfreiheit darstellen. Dazu gehören alltagsweltlicher Druck und Belästigung, zum Beispiel wenn man selbst im engsten Familienkreis nicht ohne Risiko über seinen Glauben sprechen kann oder aufgrund seines Glaubens von Familienmitgliedern oder der Kontaktaufnahme mit gleichgesinnten Christen ausgegrenzt wird. Weitere Beispiele sind: Belästigung von Kindern in der Schule aufgrund des Glaubens ihrer christlichen Eltern, innerfamiliäre Enterbung oder der Druck zur Scheidung nach Konversion, weitere Formen von psychischem Druck und Missbrauch, gesellschaftlicher Druck bezüglich religiös motivierter Kleidungsvorschriften, sowie nichtstaatliche Überwachung und Bespitzelung. Die Diskriminierung bei Anstellungen und beim Zugang zu grundlegender sozialer Versorgung fällt ebenfalls in diese Kategorie.“
Der  Weltverfolgungsindex (WVI) 2021 nennt für den Untersuchungszeitraum vom 1.Oktober 2019 bis zum 30. September 2020 die Mindestzahl von 4.761 getöteter Christen, nach 2.983 Opfern im Jahr zuvor, 4.305 (WVI 2019) und 3.066 (WVI 2018). Im Zeitraum 2014/15 (WVI 2016) waren allerdings 7.106 Personen zu beklagen. (6)
Sauer empfiehlt die Lektüre der „Länderberichte“ in den Veröffentlichungen von Open Doors. Zusätzlich gibt es zahlreiche Wikipedia-Beiträge zum Christentum in einzelnen Ländern.
In Afghanistan hat sich Lage mit der Machtübernahme durch die Taliban erwartungsgemäß verschlechtert – vor den Augen der Weltöffentlichkeit.
Vergleichen wir den jüngsten WVI mit seinem Vorgänger von 2019, so änderte sich die Reihenfolge nur wenig. Bemerkenswert ist, dass sich im Gastgeberland der diesjährigen Fußball-WM, Katar, die Lebensbedingungen für die 372.000 Christen verschlechtert haben: In der Rangliste der am heftigsten diskriminierenden Staaten kletterte Katar von Platz 38 auf Platz 18. Staatsreligion ist der Islam sunnitisch-wahabitischer Prägung, es gilt die Scharia, christliche Missionierung ist verboten, Konvertieren ist strafbar. Bei den Christen handelt es sich zum weit überwiegenden Teil um Arbeitsmigranten aus Südasien und den Philippinen sowie zum kleineren Teil um Konvertiten. Letztere sind einem massiven Druck ihrer Familien ausgesetzt, sich wieder zum Islam zu bekennen.
Die Gastarbeiter dürfen ihre Religion relativ frei ausüben: Es gibt mehr als ein Dutzend Kirchen für Katholiken, Protestanten und Orthodoxe im Lande, allerdings an den Stadträndern und ohne Kirchtürme oder Kreuze: „Religiöser Komplex“ heißt ein Stadtbezirk in Doha mit mehreren Kirchen für die unterschiedlichen Konfessionen.  Zuletzt waren in großen Privathäusern Gottesdienste verboten.

Literatur zum Thema:

Christof Sauer: Empfehlungen zum Gebrauch der Zahlen im Weltverfolgungsindex (2021). Online: www.fthgiessen.de/wp-content/uploads/pdf/PRFCV_Empfehlungen-WVI-2021.pdf
https://www.opendoors.de/christenverfolgung/weltverfolgungsindex
Thomas Schirrmacher/Martin Warnecke und Uwe Heimowski: Jahrbuch Religionsfreiheit 2021 (Studien zur Religionsfreiheit, Bd. 38). Bonn: Verlag für Kultur und Wissenschaft, 2021; ISBN ISBN 978-3-86269-227-9. Pb. 578 S. , € 12,00
Online: https://iirf.global/wp-content/uploads/Jahrbuch/rf-2021-web.pdf
Dies.: Jahrbuch Verfolgung und Diskriminierung von Christen 2021. Studien zur Religionsfreiheit Bd. 37. Verlag für Kultur und Wissenschaft: Bonn, 2021. ISBN 978-3-86269-226-2. Pb. 282 S. , € 12,00
Online: https://iirf.global/wp-content/uploads/Jahrbuch/cv_2021_web.pdf

Kirchenschändung in Europa

Im Jahr 2020 stellte der Kunstexperte der Deutschen Bischofskonferenz, Jakob Johannes Koch, fest: Kirchenvandalismus ist heute häufiger als vor zehn Jahren. Es handele sich nicht nur um Sachbeschädigungen, sondern um psychische Gewalt gegen Gläubige – also um Religionsdelikte.
Die Zahl der Einbrüche in Kirchen liegt nach Informationen der Katholischen Nachrichten-Agentur bei mehr als 2000 – jährlich.
Tatort Nordhausen. Am 28. Oktober 2021 zerschlug ein 25-jähriger Afghane, der 2015 nach Deutschland kam und dessen Asylantrag abgelehnt worden war, ein mittelalterliches Kreuz in der evangelischen Frauenbergkirche. Dieses Kreuz war 1945 aus den Trümmern des kriegszerstörten Gotteshauses geborgen worden und genießt deswegen eine zusätzliche Wertschätzung in der Gemeinde. Der Mann, der bisher nicht vorbestraft oder auffällig war, schleppte Kircheninventar aus dem Gotteshaus. Eine Glasvitrine wurde aufgebrochen und geleert. Vom Pfarrer zur Rede gestellt, erklärte der Täter in einem ruhigen Tonfall, Jesus Christus sei nicht Gottes Sohn, und daher sei der christliche Glaube für ihn als Muslim falsch. Anschließend beendete er den Akt. Die Pfarrgemeinde stellte Strafanzeige wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Landrat Matthias Jendricke (SPD) erklärte: „Ich verurteile diesen Hausfriedensbruch mit Sachbeschädigung auf das Schärfste. Solche Verhaltensweisen sind der Grund dafür, weshalb ich schon im Sommer dafür plädiert habe, keine weiteren Flüchtlinge aus Afghanistan aufzunehmen. Die meisten von ihnen lehnen unsere Kultur ab. Es ist ein Irrglaube zu denken, sie würden sich gut integrieren wollen, wie der gestrige Vorfall einmal mehr beweist. Außerdem haben wir momentan überhaupt keine Möglichkeit, straffällig Gewordene in ihr Heimatland abzuschieben, weil es gar keine Flugverbindungen mehr nach Afghanistan gibt. Wir brauchen kein neues Aufnahmekontingent für Thüringen und lösen die Probleme Afghanistans nicht, wenn wir die Leute in unbegrenzter Anzahl zu uns holen.“7
Demgegenüber schrieben Superintendent Andreas Schwarze und Pfarrer Klemens Müller am 2. November 2021, das ganze habe nicht nach „Randale“ (Polizeibericht), sondern nach einem „verspäteten Frühjahrsputz“ ausgesehen, zumal Stühle „fein säuberlich“ nach draußen getragen und „in Reihe sortiert“ aufgestellt worden seien. Wir sollten, so hieß es weiter, auch etwas ausräumen, und zwar „auf jeden Fall eine pauschale Verurteilung einer Volksgruppe, wie es in diesem Zusammenhang durch unseren Landrat (…) anklingt“. Damit haben die EKD-Vertreter die kriminelle Tat verniedlicht („das macht man einfach nicht“) und dem Landrat eine Pauschalverurteilung vorgeworfen, die dieser überhaupt nicht ausgesprochen hat.
Eine Woche nach der Kirchenschändung, besuchten etwa 40 afghanische Männer und Frauen die Kirche, um als Zeichen der Entschuldigung Blumen niederzulegen.
Tatsächlich ist Kirchenvandalismus ein fast wöchentlich vorkommendes Delikt. Aus Steißlingen bei Konstanz wird vermeldet: „Bislang unbekannte Täter haben im Laufe des Dienstags in einer Kirche in der Hauptstraße ihr Unwesen getrieben. Sie warfen diverse Gegenstände um, zündeten Zettel an, beschädigten die Kanzel und ein darauf befindliches Mikrofon, berichtet die Polizei, die nun ihre Ermittlungen aufgenommen hat“ (9. März 2022).
In Niederdodeleben, Börde-Landkreis, zerrissen am 21. oder 22. Februar 2022 die Täter Notenhefte, zerstörten Stühle, beschmierten Krippenfiguren und zerbrachen Kerzen. (8)
Das französische Innenministerium meldet für 2021 1.659 antireligiöse Straftaten. Davon richteten sich 857 (2020: 996) gegen das Christentum, 589 gegen die jüdische Religion, 213 gegen den Islam. (9) Das Institut L'Observatoire de la Christianophobie listet Monat für Monat Delikte gegen das Christentum in Frankreich und weltweit auf: www.christianophobie.fr/. Es verzeichnet Vandalismus in Kirchen,Wandschmierereien, Blumendiebstahl auf Friedhöfen, Angriffe auf Priester.
Insofern setzt sich fort, was wir 2019 in NON NOBIS beschrieben haben.

Extremismus: Vorgänge der letzten Monate

Am 24. Februar 2022 verbot das Innenministerium Nordrhein-Westfalens den Moscheeverein Nuralislam in Dortmund, da er sich „gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung“ gerichtet habe. Die amtliche Verfügung erschien mit ausführlicher Begründung im Bundesanzeiger vom 10. März 2022.10 Gleichzeitig durchsuchten 150 schwer bewaffnete Polizisten die Moschee und die Wohnungen von Funktionären des Vereins. Laut NRW-Innenminister Herbert Reul stehe der Verein den IS-Milizen nahe, er vertrete eine radikalsalafistische Ideologie. Prediger hätten gegen Andersgläubige gehetzt, der Verein habe mindestens sieben Mann als Verstärkung des IS auf den Weg in die nahöstlichen Kampfgebiete gebracht. Einen vertiefenden Beitrag über Islamismus als Ausprägung des Extremismus hat Dr. Johannes Kandel der Adventsausgabe dieser Zeitschrift 2021 veröffentlicht.
Wir stellten in jener Ausgabe vom letzten Dezember fest, „im demokratisch-rechten, konservativen Milieu wird m.E. zu wenig über rechtsextremistische Kriminalität gesprochen, während die demokratische Linke dementsprechend dem kriminellen Linksextremismus eine eher zu geringe Rolle beimisst“.
Dass die neue Bundesministerin des Innern, Nancy Faeser (SPD), den Rechtsextremismus als die größte Bedrohung der inneren Sicherheit betrachtet, mag nicht überraschen. Ihr Vorgänger Horst Seehofer (CSU) warnte ebenfalls vor der nationalistischen Ausprägung des Extremismus. Der Kampf gegen Rechtsextremismus war sogar nach Aussage Faesers eine ihrer Motivationen, politisch aktiv zu werden.
Faeser schrieb im Jahre 2021 einen Beitrag für das „Magazin der VVN-BdA“, der unter dem Datum 3. Juli veröffentlicht wurde (https://antifa.vvn-bda.de/2021/07/03/nsu-2-0-aufgeklaert/) und nach wie vor  aufgerufen werden kann.  Das Bundesamt für Verfassungsschutz führte jene Organisation namens „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten“ (VVN-BdA) in seinen Jahresberichten bis 2006 als linksextremistische Organisation auf. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder verzichten seit Jahren auf eine Einstufung dieses Vereins in ihren Berichten – Ausnahme: Bayern, zuletzt im Jahresbericht von 2021 über das Vorjahr. Das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz seinerzeit: „Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus. Anlassbezogen arbeitet sie auch mit offen linksextremistischen Kräften zusammen. In der VVN-BdA wird nach wie vor ein kommunistisch orientierter Antifaschismus verfolgt. Diese Form des Antifaschismus dient nicht nur dem Kampf gegen den Rechtsextremismus. Vielmehr werden alle nicht-marxistischen Systeme – also auch die parlamentarische Demokratie – als potenziell faschistisch, zumindest als Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt. Auf dem 23. Parteitag der DKP richtete der VVN-BdA eine Grußbotschaft an die Freunde und Freundinnen von der DKP“. 11 Das gleiche Landesamt erwähnte die VVN-BdA in seinem jüngsten Jahresbericht vom März 2022 (über das Jahr 2021) nicht mehr, ohne dies zu begründen.
Nun lässt sich alleine durch die Tatsache eines Gastbeitrags in einer Zeitschrift nicht darauf schließen, dass sich die Beitragsautorin mit dem Magazin und der herausgebenden Organisation identifiziert. Faeser ist keine Linksextremistin, sondern Mitglied der Vereinigung Sozialdemokraten in der Polizei. Dennoch fällt das Schweigen Faesers zum Thema Linksextremismus ebenso auf wie der Name der Zeitschrift, die einer Äquidistanz zu allen extremistischen Ausprägungen implizit und explizit widerspricht. Antifaschismus ist nicht Anti-Extremismus, im Gegenteil, sondern ein einseitig gerade auch gegen Staat und Kapital gerichteter Kampfbegriff. Auch wenn die VVN-BdA heute  kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes und sogar als gemeinnützig anerkannt ist, setzte Faeser, damals SPD-Fraktionsvorsitzende im Hessischen Landtag, damit ein Zeichen: gegen „rechts“, aber nicht gegen den Extremismus als Ganzes.
Gegenwärtig, als Bundesministerin des Inneren, würde Faeser nicht mehr für dieses Medium schreiben: „Heute habe ich eine andere Rolle“. Sie muss sich fragen lassen, warum sie den Text nicht in anderen, „neutraleren“ Medien veröffentlicht hatte.
Es stellt sich aber auch die Frage, wer von den Faeser-Kritikern (vor allem jenen auf Facebook und anderen „sozialen Medien“) den lesenswerten Beitrag der sozialdemokratischen Politikerin überhaupt gelesen hat. Faeser benannte darin Drohschreiben des sog. „NSU 2.0“, die sie erhalten habe: Ein Delikt, das relevant genug, kriminell und weit skandalöser als der Beitrag einer (damaligen) Landespolitikerin in einer betont linken Publikation im Vorfeld des Bundestagswahlkampfs.

Aussagekräftige Zahlen des bayerischen Verfassungsschutzes

Der Bericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz erscheint Ende Juni 2022 – und damit lange nach dem Redaktionsschluss von NON NOBIS. Wir ziehen daher den bayerischen Verfassungsschutzbericht über das vergangene Jahr heran, der im April dieses Jahres erschien. Er ist kostenlos und vollständig abrufbar.
Er benennt ausführlich Ideologien und Personenstärke der verschiedenen islamistischen Strömungen. Der Staatsminister des Innern, Joachim Hermann, erklärte bei der Vorstellung: Islamisten „versuchen Präsenz zu zeigen und mit einzelnen Anschlägen ein Klima der Verunsicherung zu erzeugen“. Der Bericht erläutert auch entsprechenden Eigenheiten von türkischen Kommunisten, türkischen Nationalisten und der kurdischer Arbeiterpartei – also der nicht-islamistischen Extremisten aus der Türkei.
Rechtsextremisten, „Reichsbürger“ / „Selbstverwalter“
Der Jahresbericht beschreibt und erklärt die rechtsextremistischen Themenfelder, Aktionsformen und Gruppen darunter die entsprechende Musik, Verlagswesen und Vertriebsstrukturen. Auch die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in Bayern ist gesunken: von 2.455 (2020) auf 1.750 (2021). Mehr als die Hälfte davon waren Propagandadelikte, an zweiter Stelle kamen 528 Fälle von Volksverhetzung (2021).  Rechtsextremisten versuchten, sich durch Verschwörungserzählungen und Falschbehauptungen an die Proteste gegen die Corona-Eindämmung anzuhängen. Wie im Titelbeitrag vom Dezember 2021 geschrieben, hielt sich deren Einfluss aber in engen Grenzen: „Lediglich bei 207 von rund 3.000 Protesten gegen staatliche Pandemie-Maßnahmen haben die Verfassungsschützer Personen mit extremistischen Bezügen festgestellt. Und: Die Mehrzahl der Protestbewegungen ist friedlich verlaufen“.
Das folgende Kapitel des Berichts widmet sich dem Selbstverständnis und Ausdrucksformen der sog. „Reichsbürger/Selbstverwalter“. Dem schließt sich im Heft die Ausführung über die „verfassungsschutzrelevante Islamfeindlichkeit“ Michael Stürzenbergers (der in jüngeren Jahren CSU-Funktionär auf Stadtbezirksebene war, was im bayerischen Bericht ausgespart wird). Angehörige der Reichsbürger- und Selbstverwalterszene sind häufiger als in den vergangenen Jahren durch Straftaten hervorgetreten: insbesondere wurden 113 Fälle von Erpressung (2020: 64, 2019: 61), 178 Fälle von Nötigung/Bedrohung (2020: 74, 2019: 71) und 14 Propagandadelikte (2020: 14, 2019: 1) registriert. Insgesamt wurden 425 Straftaten (2020: 243, 2019: 219) gezählt, wobei Körperverletzungen und Sachbeschädigungen sehr selten sind. Kennzeichnend ist ihre Ablehnung der Legitimität der Bundesrepublik Deutschland, und ihre daraus folgende Verweigerung gegenüber Ämtern und Gerichten.


 

Linksextremismus

Der Linksextremismus (73 S.) wird etwas knapper behandelt als der Rechtsextremismus (105 S.). Dogmatischer, d.h. kommunistischer bzw. marxistisch-leninistischer  Linksextremismus wird anhand der offen extremistischen Strukturen in der Partei Die Linke sowie der Splitterparteien DKP, MLPD und des „Arbeiterbundes für die Wiederaufbau der KPD“ nachgezeichnet, dazu kommen Abschnitt über die Freie deutsche Jugend  und die Rote Hilfe. Im übrigen: Es bedarf wohl keiner Erwähnung, dass im Verfassungsschutzbericht des Landes Thüringen kein Wort über die entsprechenden Plattformen, Strömungen und Gruppen der Partei Die Linke steht, die ebendort den Ministerpräsidenten stellt. Doch auch in Rheinland-Pfalz wird die Linke nicht im Verfassungsschutzbericht erörtert, während sie in den Jahresberichten von NRW und Baden-Württemberg analysiert wird.
Undogmatischer, d.h. anarchistischer Linksextremismus kommt auf 40 Seiten vor. Interessanter als die Kapitel über Splittergruppen erscheint die Ausarbeitung über linksextremistische Musik und linksextremistische Agitation im Internet.
Als erfreulich kann der Rückgang politisch motivierter Straftaten gewertet werden: Die Zahl linksextremistischer Straftaten sank von 705 auf 471. Sachbeschädigungen machten den größten Teil davon aus: 326 Fälle (2021), nach 479 (2020) und 492 (2019). Die anarchistische Postille „Zündlumpen“, die linksextremistische Delikte rechtfertigt, hat ihr Erscheinen im vergangenen September eingestellt.
Minister Hermann: „Derzeit versucht die die Szene verstärkt, über das Thema Umwelt- und Klimaschutz demokratische Diskurse zu beeinflussen und gesellschaftlichen Protest zu radikalisieren“. Mit anderen Worten: Sie versuchen, bei „Fridays for Future“ anzudocken, um „antikapitalistische“ Einstellungen auf den Demonstrationen zu vertreten und für sich selbst zu werben.
Mit Blick auf die Gefährdung der Sicherheit enthält der Bericht Beiträge über die nachrichtendienstlich beobachteten Strukturen von organisierter Kriminalität, russische und chinesische Spionage und Scientology-Organisation. Insgesamt ist der Jahresbericht mit seinen 448 Seiten eine lesenswerte Studie, die eingehender als die anderen Verfassungsschutzberichte der Bundesländer die einzelnen Gruppen analysiert.
Gemeinsamkeiten der Extremisten: Linke und rechte Radikale mögen sich als Feinde ansehen, ausländische Extremistengruppen können als Islamisten oder als Atheisten Lichtjahre voneinander entfernt erscheinen – alle diese Gruppen eint die Ablehnung der freiheitlichen Demokratie mit ihren wesentlichen Institutionen und Werten.
Sinkendes Vertrauen in Staat und Demokratie
Unabhängig von den Verfassungsschutzbehörden und ihren Erkenntnissen stellt sich die Frage, wie stark das Vertrauen der Deutschen in die Demokratie der Bundesrepublik ist – und ob es sich spürbar geändert hat: „Sind Sie mit der Art und Weise, wie die Demokratie in Deutschland funktioniert, alles in allem gesehen zufrieden?“ Im Januar und Februar 2022 antworteten 16 Prozent „sehr zufrieden“, 56 Prozent „ziemlich zufrieden“, 21 Prozent „nicht sehr zufrieden“ und ein Prozent „überhaupt nicht zufrieden“. Damit unterschieden sich die Antworten der 1.604 Befragten über 15 Jahre kaum von den Ergebnissen der vergangenen fünf Jahre, abgesehen von einem leichten Rückgang für die Vorgabe „sehr zufrieden“ zugunsten von „ziemlich zufrieden“. (12)
Eine andere Entwicklung des Meinungsklimas kann den Ergebnissen einer Bertelsmann-Erhebung entnommen werden. Waren im Sommer 2020 mit der Demokratie in Deutschland 61 Prozent der Befragten zufrieden, waren es im Februar 2022 lediglich 42 Prozent. Zwar können unterschiedliche Messmethoden die Ergebnisse verzerrt haben – einmal wurde eine telefonische, das andere mal eine online-Befragung vorgenommen. Dennoch kann von einem Vertrauensverlust ausgegangen werden. (13)
Diese Tendenz bestätigt offenbar den Vertrauensverlust, den die Körber-Stiftung anhand einer Erhebung vom Oktober 2021 referierte: 50 Prozent der Bundesbürger haben Vertrauen in die Demokratie, 30 Prozent vertrauen ihr weniger bis gar nicht. 32 Prozent der Befragten haben Vertrauen in Bundestag und Bundesregierung, nur 20 Prozent vertrauen Parteien.
Wissenschaft (67 Prozent) und dem Bundesverfassungsgericht (55 Prozent) erfreuen sich des relativ stärksten Vertrauens. Soweit die repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts policy matters vom Oktober 2021. (14)

(1) www.n-tv.de/wissen/Das-Tote-Meer-soll-nicht-sterben-article22833719.html
(2) www.lungenaerzte-im-netz.de/news-archiv/meldung/article/rauchen-ist-die-weitaus-groesste-feinstaubbelastung/
(3)  Umweltbundesamt: Luftqualität 2021. Vorläufige Auswertung. Dessau-Roßlau, 2022. Online: Hintergrund Februar 2022: Luftqualität 2020 (umweltbundesamt.de)
(4) Die Länder mit der weltweit höchsten Luftverschmutzung im Jahr 2021 – PM2,5-Rangliste | IQAir   (www.iqair.com/de/world-most-polluted-countries)   
(5) www.rbb24.de/panorama/beitrag/2021/06/berlin-deutschlandweit-hoechste-feinstaubbelastung.html   (EU-Bericht bescheinigt Berlin deutschlandweit die schlechteste Luft | rbb24)
(6) www.fthgiessen.de/wp-content/uploads/pdf/PRFCV_Empfehlungen-WVI-2021.pdf , S. 5 ff.
(7)www.nnz-online.de/news/news_lang.php?ArtNr=300266; www.mdr.de/nachrichten/thueringen/nord-thueringen/nordhausen/nordhausen-frauenbergkirche-afghanen-102.html; https://www.ev-kirchenkreis-suedharz.de/news/news_lang.php?ArtNr=8490
(8) www.wochenblatt.net/heute/nachrichten/article/vandalismus-in-steisslinger-kirche/; www.sueddeutsche.de/panorama/kriminalitaet-hohe-boerde-randalierer-verwuesten-kirche-in-niederndodeleben-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-220223-99-255646; 

 

 (9) www.tichyseinblick.de/meinungen/frankreich-christophobie-im-einstigen-land-des-allerchristlichsten-koenigs/

(10) www.bundesanzeiger.de/pub/de/amtliche-veroeffentlichung?1

(11) www.verfassungsschutz.bayern.de/mam/anlagen/vsb_2020_bf.pdf   (S. 258)

(12) Vgl.: de.statista.com/statistik/daten/studie/153854/umfrage/zufriedenheit-mit-der-demokratie-in-deutschland/#professional

(13) www.fr.de/politik/vertrauen-in-demokratie-sinkt-91426178.html

(14) www.koerber-stiftung.de/vertrauen-in-demokratische-institutionen-schwindet-2509


Zuerst veröffentlicht in der Zeitschrift "Das neue NON NOBIS" im Sommer 2022. 

© Stefan Winckler

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